Es ist Freitag, in der Uni erwartet mich keiner und die Eltern haben sich auf den Heimweg gemacht. Das ist der perfekte Zeitpunkt, um ein wenig auszuschlafen und sich dann dem Ernst des Lebens zu widmen. Ein schöner Plan, wenn er denn umsetzbar gewesen wäre. Irgendwie hat die Welt Wind davon bekommen, dass ich wieder in Sendai bin und ab 6 Uhr morgens stand mein Handy nicht still. Egal, bekannterweise ist Schlaf eh überbewertet und wenn ich eh einmal wach bin, kann ich auch etwas sinnvolles machen. Also ging es in die Stadt, Besorgungen machen und anschließend mit einem Kumpel mittags in die Mensa. Da die Mensa genau an meiner Fakultät liegt, kann man da ja auch mal vorbei schauen. Zwar wurde mir letztens erst ziemlich klar gemacht, dass meine Anwesenheit freitags nicht notwendig sei, da die stattfindenden Vorträge uninteressant seien, aber das ist ja kein Hindernis und man muss sich ja mal selber ein Bild machen.
Damit fing mein Tag eigentlich erst richtig an. Als erstes galt es, die Vortragsreihe zu verfolgen. Zwar verstand ich nicht alles, aber da es um Comics und Musik in Deutschland ging, waren die Referate schon einschätzbar. Die Frage ist nur, was soll man dazu sagen. Die Referate waren ziemlich fragwürdig und man merkte, wie selten die Referenten Präsentationen vortragen müssen. Die erste Referentin ging sogar so weit, unbewusst den ganzen Vortrag über einen Kugelschreiber auf den Fingern zu jonglieren. Kritik am Inhalt der Referate gab es zwar keine, berechtigt wäre sie aber bei beiden gewesen. Aus meiner Sicht mangelte es sowohl an der Vortragsweise, der Präsentation und teilweise auch am Inhalt. So hatte der zweite Referent als Thema Heavy Metal. Als Kulturwissenschaftler ist das Thema schon in Ordnung, trotzdem kann ich zum Erstellen eines Referats über die Neuzeit kein über 12 Jahre altes Buch als Hauptquelle verwenden. Im Endeffekt verstehe ich jetzt meinen Professor als er meinte, ich solle bei den Referaten nicht erscheinen. Wenigstens dauerten sie aber nicht (wie normal) 4 Stunden.
Anschließend an die Referate wurde etwas auf Japanisch gesagt, was ich nicht verstand. Nur die Bemerkung, dass ich der Assistent der deutschen Professorin sei, fand ich leicht seltsam. Bevor so etwas geschieht, hätte ich gerne die Bezahlung geklärt und jemanden, der mir davon persönlich berichtet, was zu tun ist. Wie sich herausstellte, war der Hauptteil der Neuigkeit die Aufforderung, beim Ausräumen eines Raumes zu helfen. Ich bekam es zwar nicht mit, als es dann aber zum helfen ging, ging ich einfach mit. Wie sich herausstellte, war ein Großteil des Jobs das Kistenschleppen. Für Shimizu und mich war das kein Problem, hatten wir vorher doch gerade mit Grasovka angestoßen. Meine Eltern hatten diesen mitgebracht, damit Shimizu endlich mal anständigen Wodka und nicht das japanische Panschzeug trinkt. Beim Helfen passierte mir dann aber leider ein Malheur. Auf Japanisch erkläre mein oberster Professor, dass wir uns an allen Büchern bedienen könnten. Da ich mir aber nicht sicher war, befragte ich die anderen und verpasste deshalb ein 1950er Buch über den Verfall und Fall des römischen Empires. Diese Werksammlung hätte ich auch gerne gehabt. Den alten Besitzer des Ganzen kann das auch nicht stören, da dieser vor 2 Jahren verstarb und bis heute das Zimmer nur als Ablage genutzt wurde. Aus diesem Grund durfte man auch keine Staublunge haben, die Sachen waren nach zwei Jahren auch nicht mehr im besten Zustand. Nach zwei Stunden rücken, lag auf einmal ein Schatz vor mir. Japan und Deutschland nach dem Weltkrieg. Eine unschätzbare Publikation, die laut Register auch nie im allgemeinem Buchhandel erschienen ist. Für meine momentanen Forschungen sollte das Buch aber auf jeden Fall hilfreich sein. Das solche Schätze zwischen Diskettentaschen und verstaubten Büchern liegen, hatte auch keiner gewusst. Trotzdem verließen wir alle den Raum mit vielen Büchern in der Hand und bekamen vom obersten Chef sogar noch Pizza spendiert. Seit wann eine Pizza Margarita aber Noriblätter drauf hat, ist mir noch nicht ganz klar, aber solange es schmeckt. Insgesamt blieben wir so bis 22.00 Uhr im Büro. Man stelle sich so ein Verhalten an einem Freitag in der Uni in Göttingen vor. Die Meisten machen freitags ja noch nicht einmal Unterricht und hier sitzt man noch ewig zusammen.
Highlight war aber eigentlich der Nachhauseweg mit Shimizu. Da er viel zu viele Bücher hatte, half ich ihm beim Hochtragen und sah so das erste Mal eine japanische Studentenwohnung. Und was soll ich sagen? Ich bin neidisch! Er hat ein größeres Zimmer mit sehr moderner Küche. Schlafen tut er im Tatamiraum nebenan, wo er auf der Tatamimatte am Boden schläft. Die Wohnung war auf jeden Fall perfekt für ihn alleine geeignet, auch wenn seine riesige CD-Sammlung eigentlich impliziert, dass er mit mehreren Leuten zusammenlebt. Nein, das Zimmer war auf jeden Fall genial und genau das, was ich mir später in Göttingen wünsche. Gerade solche Informationen, wie die Lebensweise der Japaner, haben den Tag für mich interessant gemacht und natürlich die Tatsache, Bücher kassiert zu haben, auch wenn einige Bücher zu spät kamen, um noch Besitzrechte darauf anzumelden. Da die Publikation aber nie in Deutschland erschienen ist, stellt sie für mich einen sehr interessanten Punkt für weitere Forschungen dar.