Natto und Yakuzas

Eigentlich habe ich kein größeres Problem mit Regen, wenn ich aber raus muss und meinen Begleitern eine Stadt zeigen will, ist er doch ziemlich hinderlich. Genau so sah es heute früh dann auch aus. Der Regen fiel wie aus Eimern und die eigentliche Tagesplanung durfte mal wieder über den Haufen geworfen werden. Kein Problem, Improvisation ist mein zweiter Vorname. Mit der Bahn ging es nach Ginza, dem Edelviertel der Stadt. Leider sind die Preise dort auch dementsprechend, weshalb sich der Aufenthalt stark verkürzte. Zu Fuß kann man aber auch locker den Hauptbahnhof Tokyos erreichen und dementsprechend machten wir uns auf den Weg. Plötzlich erblickten wir eine Meute von Jugendlichen, die aus unerfindlichen Gründen irgendwo anstanden. Wie sich herausstellte, fand ein J-Pop-Konzert am späten Nachmittag statt und schon 6 Stunden vor dem Einlass hatten sich die Leute eingefunden. Aber auch die japanischen Passanten amüsierten sich über den Anblick.

Endlich an Tokyo Station angelangt, wurde schnell der Rail Pass meiner Eltern eingelöst und dann ging es zum Kaiserpalast. Ehrlich gesagt kann ich nicht verstehen, warum so viele Tokyo-Reisende so scharf darauf sind, diesen Palast zu besuchen. Bis auf den Punkt, dass man eine Sehenswürdigkeit angesteuert hat, gibt es wirklich keinen Grund dafür, dort zu erscheinen. Hohe Mauern erlauben kaum einen Blick auf die Palastgebäude und auch ansonsten gibt es in dieser Region nichts wirkliches zu besichtigen. Aber egal, man muss es ja mit den eigenen Augen gesehen haben und so quälten wir uns im Regen an der Mauer vorbei und schnell weiter zu einer U-Bahn Station. Gestern hatte ich meinen Eltern angekündigt, dass Shinjuku vom Gedränge und Besucherauflauf noch gar nichts ist, heute wollte ich es beweisen. Wir fuhren nach Shibuja und schauten uns dort ein wenig um. Die Regenschirme machten das ganze Schauspiel noch beeindruckender. Die Straße war voll. Das einzige wirkliche Mittel war, sich einfach von den Massen treiben zu lassen. Gleichzeitig besichtigten wir einige Läden und fanden noch einiges zum Thema japanische Mode heraus. Bei 14 Grad kurze Miniröcke ist ja schon hart, was aber auch ansonsten noch so verkauft wird, ist teilweise wirklich verrückt. Egal ob verrückte Strumpfhosen, allgegenwärtige Stulpen, Mützen mit Tierohren, man kann es sich einfach nicht vorstellen. Wenn so jemand in Deutschland herum laufen würde, er wäre die Sensation schlechthin und hier ist es Alltag.

Zum Ausklang des Tages besuchten wir noch das Jugendviertel und den Mejin Schrein. Letzterer ist einer der wichtigsten Schreine Japans. 2006 hatte ich ihn deshalb auch schon einmal mit Dennis besucht. Da der Schrein aber nicht besonders aussieht und nur durch Blumengestecke zu Ehren der Geister auffällt, war mir seine Bedeutung nie so wirklich klar geworden. Heutzutage muss man sagen, er ist schon sehr beachtlich und bei unserer Ankunft fand auch gerade eine Hochzeit statt. Dies war ein sehr feierlicher Akt.

Im Großen und Ganzen schadete das Wetter aber wirklich und der Regen ließ erst am Abend nach, wo wir uns auf die Essenssuche begaben. Meine Mutter wollte nicht, also machten mein Vater und ich uns alleine auf den Weg. Nach längerer Suche entschieden wir uns für ein kleines, aber gut besuchtes Restaurant in der Nähe des Hotels. Wie es in Japan normal ist, entschieden wir uns dafür, viele Kleinigkeiten zu probieren und machten uns ans Bestellen. Wer erwartet aber auch, dass einen die Japaner offen ins Messer rennen lassen? Eines der Gerichte war Omelett mit einer Zutat, die auf den Bildern nach Pilzen aussah. Also bestellte ich es und wunderte mich schon etwas über die komische Zutat, die eindeutig kein Pilz war. Nach dem Probieren war auch schnell geklärt, womit mich die Japaner vergiften wollten – mit Natto. Bei Natto handelt es sich um eine der umstrittensten Zutaten der japanischen Küche und nur ein geringer Anteil Japaner isst es überhaupt. Es handelt sich um fermentierte Sojabohnen. Nach dem Vorgang der Fermentierung bildet sich um die Bohnen eine schleimige, Fäden ziehende Substanz und auch der Geruch ist nicht mehr unbedingt appetitlich. An sich war das Omelett trotzdem nicht schlecht, die Bilder des Orginalnattos machten das Verspeisen für mich aber zur Tortur. Kaum hatte ich auch die ersten Bissen gemacht, erschien auf einmal eine Kellnerin neben mir und reichte mir eine Schüssel und einen Löffel, mit dem ich das Natto wegkratzen könne – schließlich wisse man um die Reaktion von Ausländern auf diese Zutat. Natürlich hätte man mir nicht vorher verraten können, dass Natto im Essen ist, sondern kommt kurze Zeit nach dem Probieren! Diese ganze Entwicklung appellierte an meinen Stolz. Auch wenn es nicht unbedingt appetitlich war und ich zum runterspülen viel trinken musste, die Blöße des Aussortierens wollte ich mir nicht geben. Im Laufe der nächsten zehn Minuten, die wie eine Ewigkeit erschienen, kamen zufälligerweise auch fast alle Angestellten des Restaurants mal an unserem Tisch vorbei und schauten erst einmal, wie sich der Ausländer schlug. Bis auf diese Überraschung war das restliche Essen aber sehr gut. Trotzdem wurden wir zum Schluss doch etwas unruhig und verließen doch lieber freiwillig das Restaurant. Kurz bevor wir gehen wollten, erschienen vier suspekt wirkende Japaner im Restaurant und setzten sich neben uns. Einer davon hatte sich zum Beispiel einen Stern ins Ohr brennen lassen. Auch ihr ganzes Verhalten erschien fragwürdig und im Zweifelsfall würden wir sie zur örtlichen Yakuza, der japanischen Mafia, zuordnen. Wenigstens können wir damit sagen, wir haben endlich auch mal welche gesehen. Trotz oder gerade wegen dieser Umstände, hatten wir auf jeden Fall unseren Spaß und gesünder als heute kann ich schon fast gar nicht mehr leben. Natto ist eines der gesündesten Essen Japans. Wer auch immer mal die Gelegenheit hat, es zu probieren, sollte es machen, auch wenn es wohl kaum den Geschmack der Mehrheit treffen sollte. Ich selber werde aber wohl noch ein paar Tage Albträume davon haben.

2 Kommentare

    • Carsten auf 31. Oktober 2010 bei 17:21

    Die horizontale Ausrichtung der Ampeln ist für europäische Augen auch sehr gewöhnungsbedürftig!! 🙂 Liebe Grüße!!

    • admin auf 1. November 2010 bei 14:45
      Autor

    Ach die ist doch harmlos. In Sendai gibt es Fußgängerampeln, die sind mit der Autoampel in der Mitte der Straße verbaut, die sieht wirklich gar keiner.

    Liebe Grüße zurück und einen guten Semesterbeginn.

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