Japaner sind höflich, lächeln immer und sagen nie ein böses Wort – jeder von uns hat diese Vorurteile schon einmal gehört und eventuell sogar verwendet. Der heutige Tag sollte mir die Ausnahme von der Regel bestätigen. Der zweite Anlauf bei Professor Morimoto stand an. Diesmal mit Termin sollte es doch kein Problem sein, bei ihm vorstellig zu werden. Doch, eigentlich schon, denn Pünktlichkeit ist wohl eher ein Laster, das den Deutschen zuzuschreiben ist und dementsprechend durfte ich über eine Stunde im Kenkyoshitsu warten. Kein Problem für mich, schließlich saß eine nette Studentin im Büro, mit der ich schon gestern Hausaufgaben gelöst habe. Heute ging es in unserem Gespräch um Interessen und manchmal hatte ich das Gefühl, eine weibliche Version von Shimizu vor mir zu haben. Ich würde mal sagen, wäre ich heute im Kenkyoshitsu, ich würde wohl viele Gespräche mit ihr führen, ist ihr doch ein wirkliches Interesse an Deutschland anzumerken. Allgemein hat sich das Kenkyoshitsu schon wieder an meine Anwesenheit gewöhnt und ich werde wie ein normaler Bestandteil angesehen. Für mich ist dieser Zustand auf jeden Fall optimal, weshalb die Stunde auch wie im Fluge vergangen zu sein schien. Nur die Fruchtschnecken, welche ich den Japanern anbot, wollte so recht niemand anfassen. Ich wisse doch, dass Shimizu der Einzige ist, der das Zeug essen kann. Erst lange Verhandlungen und ein Vorführen überzeugte sie zu probieren, dass diese Art von Schnecken nicht mit Lakritze verseucht ist.
Endlich erschien Morimoto Sensei. Mein Mitbringsel aus Deutschland wurde mit der amüsierten Feststellung quittiert, dass ich schon wie ein echter Japaner denke und lebe. Wie es sich gehört, kamen wir gleich zum Ernst des Lebens. In Tokyo gibt es ein Institut, welches Stipendien für die Forschungsrichtung vergibt, welche mich schwer interessiert. Da meine Kontaktversuche nicht so erfolgreich verliefen fragte ich ihn, ob er nicht anrufen kann. Als neuer Ersatzdekan der Fakultät ließ es sich Morimoto nicht nehmen, dass Telefonat sofort zu führen. Nichts konnte ihn aber darauf vorbereiten, was ihn erwartete. Trotz der Auflistung seiner Titel und einer absolut Japan-typischen Höflichkeit, wurde er abgeschmettert. Er selber beschrieb das Gespräch als sehr kalt. Ich werde aber nicht verzagen, auch wenn dieser Plan im Sande verlief. Professor Morimoto gab mir den Hinweis, sich doch aus Deutschland zu informieren, aber das verlief ja bisher auch nicht vielversprechender. Er will aber meine Masterarbeit an die geeigneten Professoren in Japan weitergeben. Vielleicht besteht ja doch noch die Chance, dass sich das Treffen gelohnt hat. Nach dem Gespräch legte Professor Morimoto aber erst richtig los. Der Herr ist eine wandelnde Gerüchte-Litfaßsäule und über viele alte Mitstudenten konnte ich Neues erfahren. Besonders hoch lobte er aber Shimizu, welcher als Zentrum des Kenkyoshitsus beschrieben wurde und unbedingt in Deutschland studieren müsse. Sogar über dessen Freundin wusste Morimoto bestens Bescheid und manchmal frage ich mich ja schon, ob meine Profs in Göttingen über uns auch so informiert sind, ich wage es aber zu bezweifeln.
Nach dem Kenkyoshitsu ging es dann noch in die Innenstadt, wo ich die hochschwangere Mayumi traf. Ihr Deutsch hatte sich in den zwei Jahren nicht verschlechtert, weshalb es eine sehr lustige Runde wurde. Interessant ist es, den Lebensplan einer Japanerin zu sehen. Mayumi hat aufgrund ihrer Schwangerschaft komplett auf Mutter umgestellt und führt jetzt die Lebenspläne für die kinderreiche Zukunft, inklusive Haus, Garten und Hof, aus. Immerhin wurde ich in ihr neues, noch im Gedankenspiel befindliches Haus, eingeladen. Ich habe also auch in den nächsten Jahren genug Orte in Japan zu besuchen und werde wohl auf jeden Fall wieder herkommen.
Die schlechte Nachricht des Tages betrifft dagegen das Fahrrad ?Kamikaze?, welches auf dem Heimweg endgültig ins Gras gebissen hat. Soviel zu meinen Plänen, wenn ich alleine bin, das bessere der beiden Räder zu benutzen. Jetzt bleibt halt nur die Frage, wie lange hält ?Todesfalle? jetzt noch aus.