Religion und Rock – Live in Sendai

Morgens halb zehn in Japan… Während im fernen Deutschland angeblich alle gerade eine Pause machen (wenn man der Werbung glauben darf), fangen die Japaner gerade erst richtig an zu arbeiten. Da mir noch einige Kleinigkeiten für morgen fehlten, ging es heute sehr früh in die Innenstadt. Plötzlich war aus der Entfernung ein Klopfen zu hören, was konnte das sein? Mönch Wie sich herausstellte, lief ein buddhistischer Mönch den gleichen Weg ab, wie ich. Kahl rasierter Kopf, graue Tunika, ein paar alte, abgelaufene Turnschuhe und eine Messengertasche, mehr trug er neben einem komischen Instrument nicht bei sich. Das Instrument selber war eine Art Trommel. Ich bin wahrlich nicht langsam zu Fuß, aber das Tempo, was der Herr vorlegte, war schon sehr beeindruckend. Gleichzeitig schaffte er es in einer beachtlichen gleichen Stimmhöhe, den gleichen Satz mantraartig auf zu sagen. Gleichzeitig hatte er für die ihn offensichtlich bekannten Ladenbesitzer immer ein „Guten Morgen!“ auf den Lippen. Hätte der Mönch mit seinem Mantra nicht nur alle gesegnet, ich wäre davon ausgegangen, er wäre irgend ein Sektenmitglied gewesen. Vielleicht war er es auch, aber es war schon beachtlich, mit welcher Ruhe und mit welchem Tempo er das Ganze absolvierte!

Interessant ist dabei zu sehen, wie beliebt und unbeliebt Religion in Japan eigentlich ist. Die Hauptreligionen stellen der Shintoismus (also Naturgeister) und der Buddhismus dar. Der Japaner geht dabei regelmäßig in die Tempel, betet und lässt auch Spenden da. Trotzdem entscheiden die meisten sich nicht für eine Religion, sondern wechseln jeweils zu der, die ihnen gerade am günstigsten erscheint. So kann es auch vorkommen, dass Japaner auf einmal in einer der wenigen Kirchen der Stadt heiraten, einfach weil christliche Kirchentrauungen im Fernsehen vorgelebt werden. Trotzdem wird der Pfarrer das Braupaar danach vermutlich nie wieder sehen. Auch nach welchen Religionen beerdigt und die Geburt gefeiert wird, hängt von den Versprechen der Religionen ab. Gleichzeitig behaupten auch die Japaner von sich, sie sind nicht gläubig. Trotzdem sind die Glücksbringer der Tempel absolute Geschenkfavoriten. Zu diesen Ketten und Glücksbringern wird auch gerne mal ein Kreuz getragen oder noch eine andere Religion vertreten. Trotz allem, auch wenn sie selber von sich sagen, wir sind nicht so gläubig, bei wichtigen Festen wie Neujahr kommen die Japaner dann doch wieder zu den Tempeln, um für das Neujahr zu beten. Diese Ambivalenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist interessant. Im Gegensatz zu Deutschland, wo nachweislich genug Atheisten leben, hat sich die göttliche Methaphorik aber nicht im Sprachgebrauch umgesetzt. In einem Gespräch mit Studenten aus meinem Büro sind ihnen keine Aussagen eingefallen, die auf Religion Bezug nehmen. Das ist etwas, was bei uns sehr leicht zu finden ist.

Ansonsten verbrachte ich den Tag die meiste Zeit im Büro. Die Erstsemester hatten heute Einführung und ich verpasste es leider, da ich ja lieber in die Berge fahre. Trotzdem oder gerade deshalb, waren heute besonders viele Leute im Büro. Da Shimizu mir nun versprochen hatte, dass ich mir sein neustes Werk anhören darf, holte er lieber die Kopfhörer heraus. Dass alle es hören, war ihm dann doch zu unheimlich. So bin ich der Erste, der den neusten Song seiner Band hörte. O.k., Band ist verkehrt. Alle Instrumente wurden von ihm gespielt, aber er mag die Bezeichnung und hat sich dazu auch einen ewig langen und unübersetzbaren Bandnamen ausgesucht. Besonders anstrengend war wohl die Musik, da er nicht so laut singen durfte, wie er es gerne gemacht hätte. Seine Nachbarn hätten sich sonst beschwert. Es hört sich aber nicht schlecht an, besonders wenn man japanischen Pop als Vergleichswert nimmt. Um zu beweisen, dass ich nicht nur erzähle, sondern der Song auch wirklich existiert, hier das Lied zum reinhören:
Shimizus Werk

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