Andere beschäftigen und sich dafür von wiederum anderen beschäftigen lassen

Alarmstufe Rot, es gibt Probleme mit dem Hotel! Ich muss sagen, diese Worte in einer Nachricht sind verdammt aufbauend, besonders am frühen Morgen. Melanie verfehlte ihr Ziel auch nicht und in Sekundenschnelle war ich aus dem Bett raus. Was war geschehen? Unser Hotel in der Zwischenstation am Samstag war auf einmal nicht mehr zu bekommen, trotz vorheriger anders lautender Informationen. Die englischen Internetseiten waren dazu auch noch ohne Informationen, was also machen? Mit dem Rad ging es schnell ins Büro, die Kollegen werden mir schon helfen können…, wenn sie denn mal da wären. Es kam also, wie es kommen musste: Drei Tage vor unserer Ankunft standen wir ohne Hotel da. Im Internet war keines aufzutreiben und die einzigen, die helfen konnten, waren auch nicht zu erreichen. Man kann sich vorstellen, was alles in meinem Kopf ablief. Reise absagen war aufgrund der gebuchten Busse nicht machbar, woanders auf der Strecke schlafen, mangels Hotels ebenfalls nicht durchführbar. So langsam sah ich uns schon im Zelt übernachten, was Melanie zum Glück besitzt. Aber wie heißt es so schön: Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Erst einmal ging es ins Reisebüro der Universität. Nebenbei bemerkt ist dies eine sehr geniale Einrichtung. Die Damen und Herren dort sind absolut bemüht, auch für Studenten geeignete Lösungen zu finden. Nach langem hin und her her hatten wir die ganze Wanderstrecke nach potentiellen Übernachtungsmöglichkeiten abgeklappert, nichts war zu finden. Ein Einzelzimmer in ganz Matsumoto war noch frei, sonst nichts. Meine verzweifelten Blicke bewegten die Damen aber genug, sich noch einmal richtig anzustrengen. Es wurde mit dem Hotel verhandelt, ob wir das Einzelzimmer gegen Zusatzgebühr als Zweipersonenzimmer nutzen dürfen, die Touristeninformation wurde nach anderen Übernachtungsmöglichkeiten befragt und man zog auch ansonsten alle Register. Im Endeffekt versuchten die Damen über 30 Minuten lang, mir für einen Tag eine Übernachtungsmöglichkeit zu besorgen. Als alles vergebens erschien, zauberte eine der Verantwortlichen noch fünf maßlos überteuerte Hotels aus dem Ärmel, die ich aber selber durchklingeln müsse. Sie hätten sich durch ihre Bemühungen schon den Unmut ihres Chefs zugezogen und an den Hotels würden sie keine Vermittlungsgebühren verdienen können. Gut, den Unmut des Chefs muss ich ja nicht noch vergrößern, also lieber zurück ins Büro. Wie aber das Anrufproblem lösen? Ein paar Fragen waren vor dem Buchen noch zu klären und dazu müsste mein Japanisch noch besser sein. Zum Glück lebe ich immer nach der wirklich weisen Philosophie meines Vaters: Man muss es nicht wissen, sondern nur wissen, wo es steht. Also Handy raus und die Liste nach Leuten durchsucht, dir mir helfen können und mir noch einen Gefallen schulden. Vor allem letztere Liste ist ziemlich lang und schnell fand sich Rieko, die gerade in der Nähe der Uni war und sich spontan bereit erklärte, vorbei zu kommen und mir zu helfen. Zusammen gelang es uns schnell, unter den teuren Hotels, immerhin gingen einige erst bei 200 Euro los, ein sehr günstiges zu finden und sie schaffte es, uns dieses zu reservieren. Ich muss sagen, eine erfolgreiche Aktion! Für ein Hotelzimmer für eine Nacht habe ich nur knapp drei Stunden und die Zeit von insgesamt vier Japanern vergeudet. Egal, wenigstens muss ich nicht zelten! Die Temperaturen sind zwar noch in Ordnung, möglicherweise bei Regen aber noch ein Zelt aufzubauen, kommt jetzt nicht gerade meiner Lieblingsbeschäftigung gleich.

Endlich konnte ich mich auch auf andere Sachen konzentrieren. Kaum saß ich einige Zeit im Büro und arbeitete, bekam ich aber schon wieder eine SMS. „Wo brennt es jetzt schon wieder?“ schoss es mir durch den Kopf. Zum Glück gab es wenigstens kein Problem mit der Reise, eine der neuen Bremerinnen bat mich vielmehr, ihr und zwei Freunden bei der Radsuche zu helfen. Alles kein Problem. Also ging es zusammen zu Großväterchen. Großväterchen ist in diesem Fall ein unter Ausländern sehr bekannter Spitzname für den Besitzer des nahe gelegenen Radshops. Der Besitzer sollte vom Aussehen her schon längst in Rente sein. Der Laden sieht auch eher wie ein Hobbyzimmer aus und nicht wie ein Geschäft. Und von Zeit zu Zeit schaut seine gleichaltrige Ehefrau heraus und bringt ihm Tee. Angenehmerweise hatte er auch relativ günstig ein Rad, dasser bis morgen aber noch fertig reparieren muss. Da die Neuankömmlinge sich nicht so recht äußerten und ich als neutraler Beobachter öfter mal erklärte, schlussfolgerte er, dass ich ihn verstehe und erklärte mir alle Details. Da die anderen während dessen wild rumerzählten kann ich nur hoffen, dass ich ihn komplett richtig verstanden habe und es morgen keine Probleme gibt. Wenn ich schon keine Ahnung von der Sprache habe, erzähle ich nicht noch wild mit den anderen über irgendwelche unwichtigen Sachen, während ein alter Mann in viel zu leiser Stimme gerade versucht, etwas zu erklären. Egal, hoffentlich geht es gut.

Auf dem Heimweg bekam ich auch gleich den nächsten Auftrag. Ein Fleischerbesuch stand an. Fleischer – ich? – das kann ja was werden! Wurde es natürlich auch. Es wurde gehacktes Schweinefleisch verlangt und zwei Scheiben normales Schweinefleisch und ich durfte für die zweite Bremerin übersetzen. Der Herr verstand mich zwar, aber deutete die Erklärung anders und gab nicht das fertige Gehacktes heraus, sonder hackte lieber das echte Schweinefleisch. Schlecht nur, dass es relativ fettig war und deshalb jetzt das Gehacktes auch ziemlich fettig ist. Ich hoffe, die Bremerin kann es trotzdem essen. Danach ging es noch etwas einkaufen, die Geheimtipps der Sendaier Geschäftswelt kann man als Neuankömmling schließlich noch nicht kennen. Ich half ihr ein wenig dabei, den Kulturschock zu verdauen, den sie seit ihrer Ankunft verspürt. Langsam kann ich auch Psychologe werden, ich habe ja schließlich noch Erfahrung von Kylies Zusammenbruch damals. Die Japaner machen sich mittlerweile schon lustig, ob ich schon Betreuer geworden bin und die Wohnzeit brauche, aber ich helfe den Neuankömmlingen ja gerne. So ein wenig Kulturschock kann man bei unvorbereiteter Ankunft hier ja schnell mal bekommen. Zum Glück war ich damals gut genug vorbereitet.

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