Japanisch ist eine ziemlich komplizierte Sprache, besonders, da die Kanjis verschiedenste Bedeutungen haben können. Nicht selten erlebt man, wie Japaner selber erst einmal überlegen müssen, was dort eigentlich vor ihnen geschrieben steht. Um diese Problematik wenigstens bei der Vorstellung aus dem Weg zu gehen, verlassen sich Japaner auf ein kleines Hilfsmittel, die Visitenkarte. Fast jeder Japaner hat sie und die Übergabe stellt ein kleines Ritual dar. Derjenige, der die Karte überreicht, nimmt sie an den zwei äußeren Ecken und reicht sie mit einer leichten Verbeugung dem Gegenüber. Der Gegenüber nimmt sie mit einer leichten Verbeugung vorsichtig mit beiden Händen, wobei diese an einer bestimmten Stelle stehen. Nun wird ausgiebig die Karte betrachtet, die sowohl Japanisch als auch Englisch beschriftet ist. Nachdem man noch einmal nach der Umschrift der Namenszeichen gefragt hat, kann man die Karte nun wegstecken und seine eigene übergeben. Genau hier kommt mein Fehler zum Tragen. Eigentlich hätte mir schon in Deutschland bewusst sein müssen, dass mein Name zu schwer auszusprechen ist. Leider habe ich aber keine Karten anfertigen lassen, schließlich bin ich nur ein unbedeutender Student. Diesen Fehler muss ich die nächsten Tage unbedingt ausbügeln!
Der Tag im Büro war heute ziemlich ruhig. Täglich verirren sich eigentlich nur maximal ein bis zwei Studenten in das Büro. Eigentlich sind nur mein zweiter Betreuer und ich anwesend. Zusätzlich ist die deutsche Professorin von ihrer Deutschlandreise wiedergekommen. Neben der Tatsache, dass sie mir bestätigte, dass ihr Göttingen auch zu klein vorkommt, wurden meine Dienste benötigt, um an ihrem PC einige Einstellungen vorzunehmen. Interessant wurde es erst, als ich eigentlich schon gehen wollte. Ein alter Professor der Tohoku Universität hatte sich angemeldet. Ein Indologe mit guten Deutschkenntnissen. Als altgedienter und bekannter Forscher hat er schon die Mitte achtzig überschritten und ist seit nunmehr knapp 20 Jahren aus dem Universitätsdienst ausgeschieden. Trotzdem besucht er die Universität noch regelmäßig und meine Professorin liest des öfteren seine Arbeiten in Englisch zur Korrektur. Da er heute nicht wirklich gehen wollte, nahm sie den Göttinger Studenten zum Anlass, ihn aus ihren Büro herauszubekommen. So wurde er mir vorgestellt.
Er ist ein sehr sympathischer älterer Mann. Sogar Magdeburg kannte er aufgrund der Halbkugelversuche. Ein Faktor, der immer Pluspunkte bringt. Ansonsten schien er ganz der alten Schule anzugehören. Widerworte gibt es nicht und seine Ausstrahlung zeigte klar, dass er etwas bedeutet. Es entwickelte sich ein interessantes Gespräch über den Punjab. Zum Glück war eine meiner letzten Vorlesungen der Thematik der Rekrutierung von ethnischen Gruppen des Punjabs vor dem ersten Weltkrieg gewidmet. Aus diesem Grund konnte ich neben dem Professor bestehen und nicht ganz unwissend erscheinen. Nur dass ich weder von meinem Vornamen noch von meinem Nachnamen die Bedeutung wusste, überraschte ihn und enttäuschte ihn etwas. Dies war ihm klar anzusehen. Es ist aber auch schwer Japanern zu erklären, dass der eigene Name keine bekannte Bedeutung hat. Japanische Namen werden aus Kanjis gebildet und haben so immer nachvollziehbare Bedeutungen. Dementsprechend verwundert reagieren Japaner auf europäische Namen. Gerade die Bedeutung der Namen ist aber einer der ersten Eisbrecher in japanischer Gesprächsführung. Im Endeffekt verlief das Gespräch aber sehr erfolgreich, auch wenn meine Anspannung erst nachließ, als der Professor das Zimmer verließ. Seine ganze Aura zeigte, dass man in seiner Anwesenheit keinen noch so kleinen Fehler begehen durfte. Mein zweiter Berater meinte aber, dass das Gespräch für mich sehr lohnend gewesen sei, da die Visitenkarte des Professors mir wohl viele Türen in Japans Universitätssystem öffnen kann. Dies ist ein weiterer Faktor für Visitenkarten, den ich schon öfter festgestellt habe. Die richtige Visitenkarte, wie die meines Professors, kann viele Dinge in Japan stark erleichtern und einige Japaner schnell freundlicher werden lassen. Morgen werde ich mir wohl auch welche anfertigen lassen, eventuell lernt dann auch meine deutsche Professorin, meinen Vornamen von meinem Nachnamen zu unterscheiden. Wobei ich mich mittlerweile schon sehr daran gewöhnt habe, dass mich die halbe Welt mit Herr Reik anspricht. Ein Fehler, der dem älteren Indologen heute sofort ins Auge fiel.