Es ist soweit, es ist wirklich geschehen. Alle Studenten, die nur ein Semester in Sendai waren, sind weg. Es ist endgültig Ruhe eingekehrt. Neunzig Prozent der anderen Studenten sind auf Reisen in die Heimat oder durch Japan und in Göttingen findet sich kaum noch einer. Kein Problem für mich, ich wollte eh einen ruhigen Tag, nur mit etwas Radfahren und einigen Geschichtsartikeln starten. Dank eines Zufallstreffens mit zwei Skandinaviern konnte ich aber trotzdem noch etwas sehr Interessantes herausfinden. Offensichtlich bin ich nicht das einzige Opfer des Tohoku Bürobelegungsplans. Die Zusammenhänge verstehe ich mittlerweile aber noch weniger.
Wir erinnern uns. Am Anfang meines Aufenthaltes gab es große Verwunderung, dass ich im falschen Programm eingebunden bin und auch, dass ich in der Deutschen Literatur gelandet bin. Bis auf die Tatsache, dass die Leute etwas Deutsch sprechen und die Studenten und Dozenten alle sehr sympathisch sind, hat diese Einteilung auch ihre Nachteile. Als Fachfremder kann man nicht einfach mal kurz zu den Historikern gehen und dort im Büro, das zeitgleich die Bibliothek ist, forschen. Das geht nur, wenn man Beziehungen zu diesem Büro hat. Dementsprechend sind meine Möglichkeiten etwas eingeschränkt, auch wenn es mittlerweile besser wird. Wie es sich herausgestellt hat, geht es den Skandinaviern auch nicht besser. Die Mitglieder der Gruppe, bestehend aus 3 Japanologen, wurden auch den seltsamsten Büros zugeordnet und können nahezu nichts Vernünftiges machen, außer dass die Büros jetzt erwarten, dass ihre Fachrichtungen in die Bachelorarbeiten der drei einfließen. Gar keine leichte Aufgabe, wenn eine der drei zum Beispiel im Büro für die „Geschichte des Buddhismus in Indien“ sitzt. Das wird garantiert eine interessante Arbeit für einen Japanologen. Die anderen haben es auch nicht besser getroffen. Gleichzeitig stehen sie vor den selben Problemen wie ich. Sie würden gerne in die passenden Büros gehen und sich da belesen. Als Japanologen ist ihr Japanisch auch noch um einiges besser als meines, aber sie kommen einfach nicht rein. Immerhin kann Ulf, der Indologe, mir die Türen in sein Büro öffnen. Ich kenne einen Professor in Göttingen, der von den Aussichten sehr begeistert wäre. Immerhin haben wir auf diesem Weg den Grund für meine falsche Zuordnung als nicht Graduierter herausgefunden. Wie sich herausstellte, sind die drei nicht graduiert und deshalb ging die Fakultät fälschlicher Weise davon aus, das dies auf uns alle zutrifft. Fragwürdig ist das Ganze aber schon.
Trotzdem habe ich es mittlerweile geschafft, dass meine Leute in meinem Büro helfen, etwas über die Themen, die mich interessieren, herauszufinden. Sie versuchen auch, mir in den anderen Büros einige Türen zu öffnen. Auch mein Schlüssel zum Büro wird in regelmäßigen Abständen genutzt. So habe ich mittlerweile einige Bücher zur Japanischen Geschichte im Büro gefunden, die von mir in Augenschein genommen werden. Wie man sieht, bemüht sich das Büro wirklich, mir noch mehr zu helfen. Interessanterweise decken sich die Ansichten der anderen mit meinen Beobachtungen über die Vorlesungen. Einer spricht und die anderen hören andächtig zu, das japanische Vorlesungs- und Seminarprinzip. Die Anderen meinten nur, ich soll froh sein, dass ich das nicht gezwungenermaßen mitmachen muss. Selbst mit ihren Japanischkenntnissen, lassen die meisten Professoren sie in die Seminare nicht herein und so studieren sie momentan mehr englische Literatur als alles andere. Dort dürfen sie wenigstens teilnehmen, wenn auch meist nur als Anschauungsobjekt für englischsprachige Studenten. Ich wäre zwar in mehr rein gekommen, ob das mehr gebracht hätte, als mein jetziges Vorgehen, ist aber auf jeden Fall fragwürdig.
Also, keine Sorge an alle die nur von Feiern oder Behördengängen lesen, ich werde auch so einiges fachlich aus meinem Aufenthalt mit nach Göttingen nehmen und beschäftige mich täglich damit, auch wenn ich nicht immer darüber schreibe.