Es ist soweit, die zweite Hälfte des Urlaubs hat begonnen. Dennis ist im Flugzeug und hoffentlich bald sicher in Deutschland angekommen. Er hatte bereits in Deutschland einige Bestellungen für verschiedene Dinge aus Japan bekommen, die nun nach Deutschland verfrachtet werden müssen. Ich habe ihm auch gleich noch einigen Kram von mir mitgegeben. Da er aber trotzdem weit unter dem Warenwert bleibt, sollte das alles kein Problem werden.
Die gestrige Feier mit Andre und den anderen ist dann doch länger geworden, so dass ich den heutigen Tag damit verbracht habe, die Batterien aufzuladen. Orsolyas Wohnung ist zum Glück sehr günstig gelegen. Gleich gegenüber findet man einen Coop und nebenan einen Seyus, die beiden größten Supermärkte der Stadt. Zudem gibt es gegenüber auch eine Kaitensushibar. Welche dekadentere Mittagessensmethode gäbe es also, als kurzerhand in diese Bar einzuziehen. Das Sushi ist zwar nicht mit dem des Meisters vergleichbar, doch trotz allem immer noch den deutschen Sushi-Restaurants um Meilen voraus. Das spezielle Maguroangebot, also Thunfisch-Spezial, musste ich natürlich sofort probieren und bleibe dabei, dass Maguro der beste Sushifisch ist. Da es sich um ein Kaitensushi handelt, muss man sich das gewünschte Sushi von einem Fließband nehmen. Zu unserer Überraschung scheint dies beliebter zu sein, als man lang hin annimmt. Selbst Schüler zog es in die Bar und sie speisten sehr reichhaltig. Herrlich, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in meinem Schulleben freiwillig in eine Sushibar oder überhaupt in ein Restaurant gegangen wäre.
Aufgrund des morgigen Tages verlief der restliche Tag eigentlich nur im Rahmen der Lagervorbereitungen, was sich erst abends ändern sollte. Mikako hatte sich angemeldet. Bei dieser jungen Dame handelt es sich um die Freundin meines alten Kumpels Daniel. Eine junge Japanerin, welche heutzutage in einer Bank arbeitet und welche ich vor ziemlich genau einem Jahr das letzte Mal gesehen habe. Umso größer war die Wiedersehensfreude. Zur Auffrischung alter Erinnerungen ging es in eine Udonbar hinter dem Bahnhof. In dieser Udonbar galt ich früher als angeblicher Stammgast und auch diesmal machten einige Angestellte Zeichen, als könnten sie mich erkannt haben. Gestärkt durch Udon wurde es ein sehr schönes Treffen, in dem sehr über meinen Senpai Daniel gelästert wurde. Wir hoffen auf jeden Fall beide, dass sein Traum noch wahr wird und er einmal in Japan arbeiten und bleiben kann. Selbst derartig unspektakuläre Tage zeigen doch, wie entspannt und interessant das Leben hier werden kann.
Eine kleine Anmerkung am Rande: ich verfüge endlich wieder über ein ?Fahrrad?. Mein guter alter Freund ?der Reisende? (also mein altes Fahrrad, das einen Aufkleber mit dem Motto hatte, dass man sich auf es schwingen soll und die Welt erkunden soll) wurde ja nachdem ich weg war gestohlen. Unter mir wäre das nie passiert, aber ich hatte es Shimizu überlassen und bei ihm hat es kein Jahr überlebt. Meine Trauer wirkt noch heute nach und ich hoffe inständig für den Dieb, dass ich das Fahrrad nirgends in Sendai sehe, denn es könnte nicht gut für ihn ausgehen. Als Ausgleich hat Orsolya mir gleich zwei Räder zur Verfügung gestellt. ?Totesfalle? und ?Kamikaze?. Bei Kamikaze handelt es sich um ihr Rad, welches etwas höher einstellbar ist, über Gänge verfügt und sich etwas leichter fahren lässt. Dieses leichtere Fahren hat den Nachteil, dass die Bremsen nicht funktionieren und jedes Anhalten an Ampeln ab einer gewissen Geschwindigkeit, die ich häufiger erreiche, zum Überlebenskampf wird. Die Todesfalle dagegen wurde mir von Fumiyo gestellt. Fumiyo ist eine alte Bekannte. Sie erschien auf Partys oder Veranstaltungen, aber niemand weiß, wo sie dazugehört oder was sie macht. Die Schweden in Sendai haben ihr das Fahrrad übergeben, damit sie es an die nächste Generation weitergibt. Wieso man das Rad weiternutzen wollte, erschließt sich mir aber nicht. Es hat keine Gänge, die Größe ist für jeden Europäer ein Witz und die Räder eiern gefährlich. Keines der beiden Räder ist also wirklich nutzbar, aber ich werde das Beste daraus machen. Wenigstens bin ich überhaupt mobil. Trotzdem kann ich jedem Reisenden nur vorschlagen, sich ein anständiges Rad zu kaufen und notfalls lieber etwas mehr in Qualität zu investieren. An die beiden Räder, die Orsolya und ich am Anfang gekauft haben, kam keines ihrer nachfolgenden Räder mehr heran. Bis zum Ende des Urlaubs werde ich wohl mein Götterwissen auf jeden Fall verbessert haben. Für die heutige Fahrt mit Kamikaze habe ich alle nordischen Götter mit Bitte ums Überleben durch, als nächstes sind dann wohl die Griechischen dran.